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Interview zum Pflegenotstand

Aktuell fehlen ca. 80.000 Pfleger*innen in Deutschland und bis zum Jahr 2035 sollen es ca. 307.000 sein. Schon jetzt arbeiten die Pfleger*innen am Limit und betreuen im Durchschnitt ca. 13 Patienten pro Pflegekraft. Miese Bezahlung, Personalmangel und die Profitgier der Kliniken führen zu unhaltbaren Zuständen, auch vor der Coronakrise. Seit Jahren kämpft die Pflege für bessere Arbeitsbedingungen und prangert die Situation an, sodass wahrscheinlich jeder vom „Pflegenotstand“ gehört hat. Getan hat sich oftmals nicht viel, denn die Bedingungen verändern sich schleppend. Seit der Coronakrise werden die systemrelevanten Berufsgruppen, vor allem Pfleger*innen energisch beklatscht und mit Lobeshymnen überhäuft, wie wichtig sie doch seien. Während die Pfleger*innen und andere Arbeiter*innen also mit Solidarität überhäuft werden greift der Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) weiter die Arbeitnehmer*innenrechte an und führt den 12-Stundentag mitsamt 60-Stundenwoche ein. Um einen Einblick in die aktuelle Situation rund um Solidarität, Pflege und Hubertus Heil zu gewinnen haben wir eine Pflegerin interviewet, die in einer Klinik arbeitet und in der betrieblichen Interessensvertretung aktiv ist.

RA: Wie macht sich die aktuelle Situation in deinem Arbeitsalltag bemerkbar?

P: Aktuell bekommen wir von unserem Arbeitgeber nur wöchentliche Dienstpläne, wodurch sich die Arbeit massiv auf das Privatleben auswirkt. Ich kann privat nicht vorausschauend planen. Soziale Kontakte sind durch die Coronakrise eh schon massiv eingeschränkt, aber nun wird auch mein Privatleben durch spontane Arbeitseinsätze beeinflusst. Auch haben wir eine allgemeine Verunsicherung bei der Belegschaft. Ausgelöst wird diese Verunsicherung vor allem aufgrund von fehlendem Arbeitsschutz bei der Arbeit. Wir haben keine Kittel und keine Mundschütze auf der Arbeit, wodurch wir einer erheblichen Gefahr der Ansteckung ausgesetzt sind.

RA: Wie reagiert die betriebliche Interessensvertretung auf die Situation?

P: Wir versuchen zusammen mit der Gewerkschaft zu intervenieren. Dazu gehört, dass wir Flugblätter verteilen, um über die aktuelle Situation und die Rechte der Belegschaft aufzuklären. Ver.di thematisiert dabei stark das Missachten von Betriebsvereinbarungen, die auch während solcher Krisen gelten.

RA: Pfleger und weitere „systemrelevante“ Gruppen werden ja aktuell durch die Bevölkerung beklatscht und mit Lob überhäuft. Wie siehst du die Solidarität?

P: Ich glaube und befürchte, dass es nur eine Solidarität auf Zeit ist und das ganze nach der Pandemie abschwillt. Jeder wusste und weiß, dass die Pflege unterbesetzt ist, vor allem Leute die selber stationär behandelt wurden. Sobald die Gefahr der Ansteckung abschwillt werden die Leute wahrscheinlich ihre Solidarität vergessen und uns nicht beim Streik oder anderen Arbeitskämpfen unterstützen. Eine Solidarität vor Ort nach der Pandemie wäre lobenswert.

RA: Der Arbeitsminister Hubertus Heil hat verabschiedet, dass die Ruhepausen von elf auf neun Stunden verkürzt werden dürfen und ihr nun auch in Schichten arbeiten könnt, die zwölf Stunden gehen können. Was denkst du über solche Maßnahmen?

P: Pflege hat halt auch schon vor Corona über dem eigentlichen Limit gearbeitet. In der Pflege ist es bekannt, dass ein Großteil der Belegschaft massive Überstunden aufgebaut hat, da die Leute jetzt schon Mehrarbeit leisten. Ich frage mich, wie lange die Pfleger*innen es noch schaffen werden über ihrem Limit zu arbeiten. Die Pflege muss nun halt ausbaden, was die Politik verbockt hat. Privatisierung und Ökonomisierung der Pflege hat dazu geführt, wo wir sind.
(Anm. d. R.: Die meisten Krankenhäuser und Kliniken befinden sich in Hand von Unternehmen, die natürlich auch Profite erwirtschaften müssen, was auch erklärt, dass ein Teil der Operationen in Deutschland ohne medizinische Notwendigkeit vorgenommen werden. Allein der Profit muss gewährleistet werden, sodass an allen Ecken und Kanten versucht wird Gelder einzusparen, um den Gewinn zu maximieren. Auch während der Coronakrise beschwerten sich die Kliniken massiv, dass sie keine Operationen durchführen können und daher vor dem finanziellen Ruin stehen)

RA: Du sprichst die Ökonomisierung und Privatisierung der Pflege an. Welche Perspektive wünschst du dir für die Pflege?

P: Dass der Gesundheitssektor, egal ob ambulant, stationär, teilstationär, akut oder Langzeitbehandlung explizit auch die Altenpflege wieder rein in öffentlicher Hand ist und alle Pflegeberufe tarifiert werden. Auch ein anderer Personalschlüssel muss umgesetzt werden, der auch den Anforderungen gerecht wird.

Wir bedanken uns für das Gespräch.

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