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documenta, deutsche Waffen, Indonesien? Da war doch was!

Wie Deutschland mit Waffenlieferungen an einem Regime Change und dem Mord an Millionen Kommunist:innen in Indonesien beteiligt war.

Aktuell in der öffentlichen Diskussion ist ein Bild mit antisemitischem Motiv, das auf der Ausstellung „documenta“ in Kassel wieder abgebaut wurde. Es stammt von einem indonesischen Künstlerkollektiv und ist eine Art Wimmelbild, mit unzähligen Personen, das die indonesische Militärdiktatur thematisiert. Unter diesen „Personen“ befindet sich unter anderem ein Mossad-Agent mit Schweinekopf. Dieser soll wohl die Beteiligung des israelischen Geheimdienstes an der Diktatur abbilden. Dass es sich dabei um antisemitische Bildsprache handelt (der Mossad Agent als Schwein, alle anderen Personen jedoch Menschen) und viel falsch gelaufen ist im Zusammenhang mit der Aufstellung des Bildes, das wollen wir an dieser Stelle nicht weiter diskutieren. Zum Ablauf des Geschehens rund um das Bild sei unter anderem dieser Facebook Beitrag genannt, der auch die ungleiche Handhabe des Begriffs „Kunstfreiheit“ in Bezug auf antisemitische und rassistische Motive thematisiert. (Stichwort „Mohammed Karikaturen“)

Eine sehr gute politische Einordnung der Ereignisse nimmt folgender Beitrag vor: „Noch auffälliger aber ist, was Steinmeier weggelassen hat. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin hat gerade belegt, dass die documenta unter maßgeblicher Beteiligung von Kunsthistorikern gegründet wurde, die in den Nationalsozialismus verwickelt waren. Hätte er selbstkritisch darauf Bezug genommen, wäre die documenta nicht zum unbefleckten Ort der Weltkunst und seine Rede nicht zur anmaßenden Belehrung der Künstler:innen des Südens geworden. Zugleich hätte er auf Kassel als ein Zentrum des NSU-Terrors verweisen können, um deutlich zu machen, dass Antisemitismus und ein gefährlicher Rechtsextremismus auch im deutschen Kontext kein abgeschlossenes Thema sind. So aber bleibt die documenta, wie Hito Steyerl vor wenigen Wochen in der ZEIT schrieb, ein Ort der deutschen Reinwaschung.“
Wir möchten den „documenta Vorfall“ zum Anlass nehmen auf deutsche Waffenlieferungen und Unterstützung der indonesischen Militärdiktatur hinzuweisen, an der unter anderem ehemalige SS-Offiziere beteiligt waren. Indonesien war 1949 nach etwa 300jähriger niederländischer Kolonialherrschaft und blutigem Unabhängigkeitskrieg endlich unabhängig geworden. (Der empfehlenswerte 2020 erschienene niederländische Film „De Oost“ thematisiert den Unabhängigkeitskampf und die holländischen Verbrechen aus Sicht eines holländischen Soldaten, der in einer Todesschwadron an der Ermordung von (vermeintlichen) Aufständischen beteiligt ist.) Nach der Unabhängigkeit wurde Sukarno Präsident, der sich teilweise in seinen Ausführungen auf den Kommunismus bezog und mit Beteiligung der kommunistischen Partei Indonesiens PKI als Juniorpartner in seiner Regierung regierte. Er machte das Land zur führenden Nation der Bewegung blockfreier Staaten in dieser Phase des kalten Krieges und verstaatlichte unter anderem westliche Unternehmen. Gleichzeitig stand das Land innenpolitisch zunehmend unter Spannungen und Konflikten, unter anderem zwischen Kommunist:innen und Islamisten. Vor allem jedoch in den Reihen des Militärs gab es zunehmend Unzufriedenheit nationalistischer Kräfte mit der vermeintlich kommunistischen Politik des Präsidenten. 1965 gab es den mysteriösen Versuch eines Staatsstreichs. Mehrere hohe Generäle wurden entführt und ermordet. Die Schuld daran wurde der PKI in die Schuhe geschoben, welche zu dieser Zeit 3 Millionen Mitglieder hatte und damit die größte kommunistische Partei der Welt außerhalb Chinas und der Sowjetunion war. Eine Beteiligung der Kommunist;innen jedoch gilt heute als mehr oder weniger ausgeschlossen, tatsächlich waren Militärs des Präsidenten Sukarno selbst involviert. Es folgte von 1965 bis 1966 ein beispielloses Massaker vor allem an tatsächlichen und vermeintlichen Kommunist:innen und der chinesischen Minderheit. Dabei wurden 500.000 bis drei Millionen Menschen ermordet und die kommunistische Partei sowie unabhängige Gewerkschaften verboten, unzählige Menschen inhaftiert und gefoltert. Der Militär Suharto setzte den Präsidenten ab und wurde im Zuge dessen Diktator Indonesiens, was er bis 1998 blieb. Unter Suharto wurden neue Investitionsgesetze geschaffen, die vor allem der Ausbeutung indonesischer Ressourcen durch westliche Unternehmen dienten (so wurde Suharto 1969 in der NY-Times als „schüchterner Anführer“ beschrieben, der „mit Hilfe eines exzellenten Teams von Ökonomen bemerkenswert erfolgreiche“ Politik mache) und unter anderem Osttimor militärisch besetzt und annektiert, nachdem dieser 1975 von Portugal unabhängig wurde. Suharto hatte beste Verbindungen in den Westen, unter anderem nach Washington aber auch nach Bonn zum BND. Ende 1965 bat ein hoher Militär Indonesiens den BND um „Geldmittel für die Fortsetzung der antikommunistischen Säuberungsaktion“ wie es in vor kurzem öffentliche gewordenen BND-Akten heißt. Genauer gesagt ging es um 1,2 Millionen DM. Unter anderem solle mit dem Geld auch antikommunistische Propaganda verbreitet werden – Antikommunistische Propaganda war ein Grundstein zur „gesellschaftlichen Akzeptanz“ der Massaker. Ob die 1,2 Millionen wirklich geflossen sind, ist nicht bekannt. Doch bereits 1971 berichtete der Spiegel, dass Indonesiens Geheimdienst 1965 vom BND mit Maschinenpistolen und Funkgeräten beschenkt wurde. Die veröffentlichten Akten belegen eine 10jährige Zusammenarbeit des deutschen und indonesischen Geheimdienstes. 1962 und 1963 wurden indonesische Militärs in Deutschland geschult. So etwa hatte ein gewisser General Sukendro beste Verbindungen nach Westdeutschland „In Bonn verhandeln der spätere Bundespräsident und der General [Sukendro] offiziell über wirtschaftliche Unterstützung – abhängig ist sie offenbar davon, dass Indonesien seinen antikommunistischen Kurs fortsetzt […] Experten gilt der Militär [Sukendro] als Schlüsselfigur für den damals im Aufbau befindlichen Völkermord-Apparat und wichtigste Schnittstelle der Generäle ins Ausland. Dort und in Indonesien selbst ist Sukendro damals in die psychologische Kriegsführung gegen die Kommunisten eingebunden, die binnen kürzester Zeit in Genozid eskaliert […]  Im November 1965 ist der General für die Putschisten auf Beschaffungstour: Wie aus Akten des US-Außenministeriums hervorgeht, hat er bereits die US-Botschaft in Thailand um verdeckte Unterstützung gebeten. Die Amerikaner sollen medizinische Ausrüstung, Funkgeräte und Waffen zur Verfügung stellen. Damit beabsichtigt das Militär laut damaliger Einschätzung der Diplomaten, muslimische und nationalistische Milizen zu bewaffnen. Bei den Massakern werden diese Gruppen später eine wichtige Rolle spielen. Das ist sowohl den Amerikanern als auch den Deutschen zu dieser Zeit bereits bewusst.“ So heißt es in einem Artikel von T-Online, das die Akten sichtete und auswertete. Deutschlands Engagement in dieser Zeit war unter anderem der Befürchtung geschuldet, Indonesien könnte die DDR anerkennen; stattdessen baute man es zum antikommunistischen Bollwerk aus zu einem Zeitpunkt als der Vietnamkrieg tobte. An der Zerschlagung der kommunistischen Partei hatte nach Ansicht führender indonesischer Militärs der BND einen großen Anteil, was auch so eindeutig in den Akten hervorgehoben wird. 
1970 war Diktator Suharto bereits auf Staatsbesuch in Westdeutschland, noch 1996 bekam er Staatsbesuch von Helmut Kohl. Beide ließen sich unter anderem beim Angeln ablichten und pflegten eine lebenslange persönliche Freundschaft. Als Suharto 1998 abdankte, begann Kohl seinen Brief mit „mein lieber Freund“. 
Im Neuen Deutschland heißt es zur Beteiligung Deutschlands: „Dass der BND weitere Leute vor Ort hatte, ist nachweisbar. Der 1992 in München verstorbene Rudolf Oebsger-Röde gehörte dazu. Einst SS-Obersturmbannführer, SD-Mann und Chef von Einsatzgruppen hatte er bei der Organisation Gehlen, dem späteren BND, angeheuert und war ab 1959 in Indonesien als Korrespondent für die »Süddeutsche Zeitung« und die »Neue Zürcher Zeitung«. Im Juni 1968 bestätigte der damalige BND-Präsident Gerhard Wessel – laut Protokoll – dem Bundestags-Vertrauensgremium, der BND habe nicht nur die indonesischen Militärs bei der »Zerschlagung der KPI« mit Beratern, Ausrüstung und Geld unterstützt. Der spätere Staatschef Suharto habe, so Wessel, dem Dienst sogar einen »große(n) Anteil (…) am Erfolg« der Operation zugeschrieben.
Bereits ein Jahr zuvor hatte der damals neue bundesdeutsche Botschafter, Kurt Lüdde-Neurath, eine Rede in Jakarta gehalten. Kolportiertes Zitat: »Die Zerschlagung der indonesischen Linken stimmte die Staaten der westlichen Welt siegesgewiss. Hunderttausende getötete Kommunisten böten eine ausreichende Garantie, dass die Regierung alles tun werde, um einen erneuten Linksruck im Land zu verhindern«, betonte der Diplomat. Ab 1973 war der Ex-NSDAP-Nazi dann Botschafter in Chile. Das war jenes Jahr, in dem General Augusto Pinochet die sozialistische Regierung wegputschte. Ironie der Geschichte: Die CIA nannte ihren Plan zur systematischen Ermordung von Führern der Allende-Volksfront-Regierung »Operation Jakarta«.“
Die Zusammenarbeit Deutschlands mit der indonesischen Diktatur und dem Militär fand bis zu Ende der Diktatur und darüber hinaus statt. 1992 lieferte man Indonesien etwa 39 Landungsboote und Korvetten aus Altbeständen der DDR. Diese wurden unter anderem 1999 und 2000 kurz nach dem Ende der Diktatur von Milizen bei Massakern im Osttimor eingesetzt, der 2002 unabhängig wurde. Die deutschen Sturmgewehre MP5 und G3 von Heckler und Koch produziert Indonesien selbst in Lizenz und 2012 deckte die Linkspartei Indonesiens Interesse an Leopard 2 Panzern auf. 2013 wurden diese auch tatsächlich von Rheinmetall geliefert. DDR-Altbestände, Leopard 2 Panzer und Rheinmetall, Begriffe die wir aktuell nur zu häufig in Verbindung mit dem Ukraine-Krieg hören.
Während aktuell von einer politischen Zeitenwende die Rede ist, von westlichem Wertekanon und der Aufklärung russischer Kriegsverbrechen und Waffenlieferungen an die Ukraine, finden wir, dass es im Zuge einer direkten Beteiligung deutscher Geheimdienste und Regierungen an hunderttausendfachem Mord an Kommunisten in Indonesien ganz andere Kapitel deutscher Geschichte und Beteiligungen an Regime Change aufzuklären gilt. Die Militärdiktatur Indonesiens und die Verbrechen beschäftigen das Land noch bis heute und sind immer noch eine Art Tabu-Thema, das so gut wie gar nicht aufgearbeitet wurde. Suharto danke 1998 im Zuge der asiatischen Währungskrise ab und wurde 2008 mit militärischen Ehren bestattet. Ein Korruptionsverfahren gegen ihn wegen der Unterschlagung von einer halbe Milliarde $ staatlicher Gelder etwa wurde aus gesundheitlichen Gründen eingestellt. 
Die folgenden Artikel sind lesenswert, unter anderem T-Online, das die BND Akten auswertete geht detailliert auf die deutsche Unterstützung ein.
 

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