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Coronakrise und bürgerliche Demokratie

„Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“ – Karl Marx MEW 8, S.115

Wir leben aktuell in wilden Zeiten. Viele Menschen sind freiwillig bereit, ihre Daten – für vermeintlich mehr Sicherheit vor dem Virus – in sozialen Medien preiszugeben. Die Angst vor einer Ansteckung wird für eine Generalmobilisierung gegen grundlegende Freiheiten der bürgerlichen Demokratie genutzt. Besonders besorgniserregend war die breite Forderung nach einer Ausgangssperre, die zum Beispiel in Bayern und im Saarland verwirklicht worden ist. Veranstaltungen wurden generell verboten und das Versammlungsrecht komplett ausgesetzt. Dies hat die radikale Linke in eine Ohnmacht versetzt. Wir sind noch weniger handlungsfähig als sonst, weil uns unsere traditionellen Aktionsformen genommen wurden. Die Selbstisolation hemmt auch zentrale Organisationskonzepte jenseits des Zusammenkommens. Das zuhause Rumsitzen tut sein Übriges zur Lust- und Antriebslosigkeit.  Aber führen wir uns erst einmal vor Augen, was aktuell passiert.

Manche nennen es die „autoritäre Formierung“, früher hieß es „Faschisierung“. Kurzgefasst: die bürgerlichen Grundfreiheiten werden seit geraumer Zeit beschnitten. Aber ist dies eine aktuell einzigartige Entwicklung? Linke AutorInnen wollen immer bestimmte Entwicklungen skandalisieren und werden dabei häufig ahistorisch. Propagandistisch hat es natürlich einen Effekt, wenn man den Leuten erzählt, der Kapitalismus nehme seine bürgerliche Fratze ab und würde zunehmend zur Diktatur. So kann man wohl eher jemanden auf eine Demonstration locken. Wenn man sich aber die Geschichte der BRD anschaut, dann gibt es keine permanent wachsende Entwicklung zum Faschismus – wenn dem so wäre, dann hätten wir ihn bereits. Vielmehr sind es Wellen von Angriffen, so hat die aktuelle Repression nicht mit Corona angefangen. Denken wir etwa an die neuen Polizeigesetze in Bayern oder Sachsen und die gewaltsame Durchsetzung des G20 Gipfels in Hamburg 2017. Manche Angriffe werden aber auch abgewehrt und bürgerliche Rechte in ihrem Schutzbereich erweitert, wie zum Beispiel bei der informationellen Selbstbestimmung. Das besagte Schwarzmalen der Entwicklung führt häufig dazu, den Status Quo zu verteidigen. Als KommunistInnen sollten wir aber anfangen das Bild von der schönen heiligen bürgerlichen Demokratie zu zerlegen. Die heilige bürgerliche Demokratie ist eine Totgeburt. Sie ist in den Köpfen bürgerlicher Ideologen hängengeblieben und hat es nie auf die Ebene der Umsetzung geschafft. Bürgerliche Demokratie bedeutet für uns immer die Diktatur des Kapitals. Sie unterscheidet sich in ihrer aktuellen Form vom Faschismus darin, dass sie eher auf Betrug und Integration setzt. Wir als Klasse haben schlussendlich kein Mitspracherecht, das Kapital setzt sein Willen auf allen Ebenen durch. Die Verklärung dessen nennen sie Demokratie, weil man alle vier Jahre sein Kreuz auf einem Zettel machen kann, doch die daraus entstehenden Regierungen unterscheiden sich alleine darin, wie skrupellos sie das Kapitalinteresse vertreten. Abhängig sind sie jedoch alle von der Kapitalistenklasse.

Das besondere an ihrer Demokratie ist es eben, dass die Kapitalisten es schaffen, ihr eigenes Interesse der Mehrheit als Gesamtinteresse zu verkaufen. Dies geschieht durch Lug und Trug auf ideologischer Ebene, aber auch indem sie einfach einen kleinen Teil unserer Leute direkt kaufen. Wenn wir uns nun aufmachen, um die bürgerliche Demokratie vor der „autoritären Formierung“ zu verteidigen, dann sollten wir eben auch mitdenken, dass die bürgerliche Demokratie eben keine Demokratie ist, sondern ihre ideologische Verklärung. Wir können und sollten diese Herrschaftsform der Besitzenden nicht verteidigen. Was wir stattdessen bekämpfen sollten, ist die Verschlechterung unserer Kampfbedingungen. Genau darin unterscheidet sich nämlich der Faschismus von der bürgerlichen Demokratie. Wenn wir also die Grundrechte in irgendeiner Form verteidigen, dann eben nicht als etwas Abstraktes, sondern als Teil unseres Klassenkampfes. Konkret heißt das unter anderem: Wir sind für die Meinungsfreiheit von AntifaschistInnen und setzen uns für ein Verbot der Meinungsfreiheit von Faschisten ein. Damit sind wir nicht für die Meinungsfreiheit Aller. Wir lassen uns von dem Gerede von abstrakten Freiheiten nicht blenden. Uns muss bewusst sein, dass auch in der besten bürgerlichen Demokratie, die Kapitalisten das Sagen haben und der Staat schlussendlich ihr Hauptinteresse, das Privateigentum an Produktionsmittel, nur in anderer Form durchsetzt. Die Faschisten dienen als letzte Verteidigungslinie der Herrschaft des Kapitals, daher werden sie nicht verboten. Wenn wir unsere Arbeit gut machen, dann bedrohen wir das Interesse der Herren und werden verboten. Alles – und wirklich alles – wird diesem Interesse untergeordnet. Dieser kleine, aber feine Unterschied macht deutlich, dass wir auch in der bürgerlichen Demokratie eine Herrschaftsform des Kapitals sehen und wegen Verschärfungen der Repression nicht in ein Reflex der Verteidigung der bürgerlichen Herrschaft verfallen dürfen. Wir müssen also immer abwägen, was uns im Klassenkampf dient und was uns behindert.

Schauen wir uns die aktuelle Entwicklung während der Coronakrise an. Das Verbot von Großveranstaltungen mag man noch nachvollziehen können und der Mindestabstand von 1,50 m ist wohl ein effektives Mittel gegen die Ausbreitung des Virus. Ende Februar jedoch verlangten viele Menschen, die sich wohl selbst auch als Linke bezeichnen würden, eine Ausgangssperre. Alle Menschen, die sich auch nur als Kleingruppe trafen, wurden verteufelt und angepöbelt, als wären sie Virenschleudern. Social Distancing kann Sinn machen, aber wenn man beachtet, dass weite Teile unserer Klasse dennoch in Bussen und Bahnen zur Arbeit fahren müssen, zeigt sich schnell, dass das Problem lediglich auf die Privats- und Freizeitssphäre verschoben wird. Die Absurdität wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass ArbeiterInnen zusammen auf dem Bau arbeiten sollen, nicht aber zusammen im Park Pause machen dürfen oder anschließend zusammen im Privat-Auto zurück nach Hause fahren dürfen. Die Last der Pandemie sollen wir also komplett im Privaten tragen, während wir für den Mehrwert weiter arbeiten müssen. Dies ist folglich als eine Form des Klassenkampfes zu begreifen. Statt an den Lippen von Merkel und verbeamteten Virologen zu hängen, wäre die richtige Antwort gewesen, keine Ausgangssperre zu fordern, sondern einen Lockdown aller nicht für das Leben direkt wichtiger Produktionszweige.

Was geschah weiter?
Alle Arbeitskämpfe wurden erst einmal auf Eis gelegt, wie zum Beispiel die Streiks der Beschäftigten der Charité- Tochterfirma CFM Anfang März in Berlin. Die Verlogenheit der politischen Klasse wird darin deutlich, dass durch die Versammlungsverbote ein Protest von Geflüchteten polizeilich unterbunden wurde, die gegen ihre Unterbringung demonstrieren wollten, weil sie eben eingepfercht waren und sich so nicht vor Corona hätten schützen können. Quasi täglich versuchen sich die Scharfmacher gegenseitig zu überbieten. So musste der Gesundheitsminister Jens Spahn mit seiner Forderung nach der Handyortung von Kontaktpersonen dank scharfer Kritik zwar zurückrudern, seine Idee aber lebt in einer „freiwilligen“ Handyapp fort, die aktuell an Bundeswehrsoldaten getestet wird. Die Bundeswehr stellt für die aktuelle Krise 15.000 Soldaten zur Verfügung und in Baden-Würtenberg wird offen über die teilweise Übertragung von polizeilichen Aufgaben an die Bundeswehr diskutiert. So schreitet eine Militarisierung der Gesellschaft voran. Im Baskenland wurde vor kurzem ein Streik von Stahlarbeitern durch die Polizei aufgelöst. Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes ermöglicht dem Gesundheitsminister nun, Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrates zu erlassen und Gesetze außer Kraft zu setzen. Somit kann er verfassungswidrig an dem Parlament vorbei regieren. Die wohl allermeisten Anordnungen werden sich fast ausschließlich gegen unsere Klasse richten, wie die Meldepflicht für Ansteckungsverdächtige, Ausweispflicht oder die Weitergabe von Gesundheitsdaten an die Polizei. Es ist kaum vorstellbar, dass Polizisten mit einem Maßband den Mindestabstand der Insassen in einer Luxuskarosse messen werden. Vielmehr eröffnet es Tür und Tor für die „Ordnungsmacht“ jenseits von der Ausgangssperre die Menschen unserer Klasse willkürlich weiter zu domestizieren.

Für uns ist die bürgerliche Gesellschaft kein Einhornponyhof, sie ist immer geprägt von Herrschaft und Ausbeutung. Dies zeigt sich in Krisenzeiten zwar deutlicher, trotzdem ist es im Normalbetrieb nicht anders. Unsere Perspektive ist sowohl der Kampf gegen die rechten Scharfmacher, als auch gegen die bürgerlichen DemokratInnen und manchmal dennoch für bürgerliche Grundfreiheiten, wenn sie unsere Kampfbedingungen verbessern, nicht um uns auf ihnen auszuruhen! Max Reimann brachte das Verhältnis der KPD zur Einführung des Grundgesetzes auf den Punkt: „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben!“

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