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1. Mai in Zeiten der Coronakrise

Wir haben den 1. Mai unter den schwersten Bedingungen der letzten Jahre hinter uns gebracht und an dieser Stelle das Bedürfnis einer ersten Auswertung. In der letzten Zeit haben wir viel über die Bedeutung des 1. Mais für uns und unsere Bewegung geschrieben, wie wir zum Beispiel mit den Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten umgehen werden. Wir stehen immer noch hinter unseren Aussagen und wollen nun auf die konkreten Ereignisse und die Vorbereitung eingehen.

Wir haben vor einiger Zeit sämtliche Hamburger Gruppen zu einem Vorbereitungstreffen eingeladen, die sich klassenpolitisch einbringen und ein revolutionären Anspruch für sich formulieren. Dabei haben wir von Anfang an erklärt, dass unsere Strukturen den 1. Mai nicht so stemmen können, wie wir ihn gern durchführen wollen würden. Mit den organisatorischen Aufgaben und der inhaltlichen Gestaltung der Demo sind wir neben den alltäglichen Kämpfen in einem Maße überfordert, dass beides ungenügend erfüllt würde. Dennoch haben wir es nicht geschafft, die Gruppen zu einer Zusammenarbeit zum 1. Mai zu überzeugen. Alle finden es wichtig, aber keiner konnte/wollte Kapazitäten dafür aufbringen. So sind wir wieder in eine Rolle des Dienstleisters geraten. Unser aktuelles Politikverständnis widerspricht einer Stellvertreterpolitik, in der wir für Unterhaltung und ein fertiges Konzept sorgen sollen. Unsere Politik ist nicht zum Konsumieren da, wir wollen die Menschen viel mehr agitieren und aktivieren. So war das Konzept in diesem Jahr nach dem „Out of Control“-Prinzip auch ausgelegt. Der 1. Mai ist demnach auch ein Gradmesser für die eigene Bewegung, dies mal aber unter massiv eingeschränkten Bedingungen.

Während die Corona-Regelungen in einigen Leben- und Wirtschaftsbereichen gelockert wurden, war das Demonstrieren kategorisch verboten worden. Aktuell kann man wieder munter einkaufen gehen und wird immer noch oder wieder gezwungen zu arbeiten, womit die Last der Coronakrise ins Privatleben gedrängt wird. Die Geschäfte sollen laufen und die Profite sprudeln – Protest und Kritik sind jedoch fehl am Platz. Mit diesem Zustand wollten wir uns aber nichtzufrieden geben. Es wurden zwar kleine Kundgebungen mit 25 Personen genehmigt, welche wir aber für den revolutionären 1. Mai abgelehnt haben, weil diese weder umsetzbar gewesen wären, noch unserem Kampftag gerecht geworden wären. Denn auch die symbolische Aussagekraft, in einem abgesteckten Bereich mit 25 Personen durch die Gnade der Herrschenden Protest zu simulieren, wollten wir nicht ausstrahlen. Auch wenn wir für eine Demonstration klagten, war uns klar, dass die Erfolgsaussichten gering waren. Deshalb mussten wir davon ausgehen, dass die Demonstration verboten werden würde. Diese Ungewissheit hat uns und die Mobilisierung belastet. Auch wenn Verbote und bürgerliche Gesetze für uns kein Maßstab unseres Handelns sind, so schrecken sie doch viele Menschen davon ab, sich einzubringen und haben auch direkten Einfluss auf die Vermittelbarkeit unserer Sache eben diesen Menschen gegenüber. Noch dazu trug auch die Presse – sowohl bürgerliche als auch linke – ihren Teil zu Demobilisierung bei. Wir beschlossen also für 20 Uhr zur Reeperbahn zu mobilisieren, um zum Einen flexibel zu bleiben und zum Anderen dennoch einen fixen Anlauf- und Zeitpunkt zu setzen.

Schon ab 18 Uhr war am 1. Mai der gesamte Bereich um die Reeperbahn mit Cops, Wasserwerfern, Räumpanzern und anderem Beiwerk abgeriegelt. Später kamen noch Hubschrauber hinzu. Insgesamt waren 2000 Polizisten im Einsatz, etwa 600 Bullen aus anderen Bundesländern unter ihnen auch einige in „Lederhosen“. Dennoch kamen Leute durch die einzelnen Polizeiketten durchgeflossen und sammelten sich an einigen Punkten entlang der Reeperbahn. Bis kurz vor 21 Uhr waren dann direkt auf der Reeperbahn etwa 1000 Personen und in den anliegenden Straßen noch mal einige Hundert. Die größten Ansammlungen waren zunächst Reeperbahn/Talstraße mit etwa 500 Personen, dann höhe Davidstraße mit 200 Personen und U-Bahnhof St. Pauli wieder mit einigen Hunderten Personen. Als die Leute anfingen, Parolen zu rufen und auf die Fahrbahn zu gehen, trieb die Polizei sie erstmalig auseinander in Richtung U-Bahnhof St. Pauli. Die Menge zersplitterte sich langsam auf und fand dann wieder zusammen. Immer wieder wurden im direkten Umfeld Polizeieinheiten und auch Institutionen des Kapitals angegriffen. Dieses Hin- und Her ging eine ganze Weile so weiter. Gegen 22 Uhr fand sich eine größere Gruppe im Schulterblatt zusammen und griff die Cops an, welche daraufhin die Straße dann mit Hilfe von Wasserwerfern räumte. Bis tief in die Nacht gab es weitere Auseinandersetzungen. Insgesamt gab es laut Polizei 9 Festnahmen. Die Betroffenen sollen sich bei uns, dem Ermittlungsausschuss oder der Roten Hilfe melden.

Beachtlich ist, dass die Cops in absoluter Überzahl waren, dennoch punktuell die Kontrolle verloren und sich somit reorganisieren mussten. Trotz des Versammlungsverbot haben sich viele Menschen auf die Straße getraut. Die Polizei ging in ihrer Lagebeurteilung von 150-300 Personen aus, dies haben wir mehrmals übertroffen. Auch wenn es in einigen Bereichen an Organisiertheit fehlte, ist dies nicht die Schuld der Leute vor Ort, sondern zeigt den desolaten Zustand der radikalen Linken in Hamburg auf, die sich eher in Szenestreitigkeiten verliert, als ihre eigentliche Aufgabe ernsthaft wahrzunehmen. In der aktuellen Krise zeigt sich das gesamte Elend in Hamburg: versteinert in alten Konflikten und in Ohnmacht gefangen, setzt die radikale Linke den Herrschenden Nichts entgegen. Das einzige Lebenszeichen einiger Teile der Szene war, dass sie im Vorfeld des 1. Mais in alter Tradition unsere Plakate abrissen. Wir erwarten von diese Leuten nichts mehr, als ihren Untergang in den Schoß der bürgerlichen Gesellschaft.

Wir bedanken uns bei unseren GenossInnen aus Magdeburg, Kiel, Rostock, NRW und allen Anderen, die diesen Weg auf sich genommen haben, um am 1.Mai gemeinsam mit uns auf die Straße zu gehen – trotz und gerade wegen der aktuellen Situation!

Der 1. Mai ist ein Symbol der direkten Klassenauseinandersetzung und kann Klassenbewusstsein schaffen. Für uns hat dieser Tag mal wieder gezeigt, dass wir uns auch in wilden Zeiten die Straße erkämpfen müssen. Sichergeglaubte bürgerliche Grundrechte werden von heut auf morgen abgeschafft und die Zivilgesellschaft zeigt sich dezimiert in der Schockstarre. Wir können nur auf unsere eigene Klasse aufbauen und müssen trotz der Überrumpelung der aktuellen Ereignisse Strukturen für die zukünftigen Auseinandersetzungen schaffen. Nur so können wir irgendwann einmal die Machtfrage stellen! Diese kleinteilige und mühselige Arbeit findet jeden Tag im Jahr statt, also krempeln wir unsere Ärmel hoch und packen es an.

Zusammen kämpfen gegen Staat und Kapital – Zusammenhalten gegen Repression!

 

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