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Der Hauptfeind steht im eigenen Land

Die Situation am Flughafen Kabul bewegt zur Zeit die Gemüter. Das Leid der Menschen dort ist groß und der Impuls helfen zu wollen nachvollziehbar. Es sind nicht nur die ehemaligen Helfer der Besatzer die dort auf eine Ausreise hoffen. Als in Kabul Gerüchte die Runde machten, es gebe die Möglichkeit ohne Visaüberprüfung das Land zu verlassen, machten sich viele Menschen auf den Weg dorthin. Die Taliban sind für viele fortschrittliche Kräfte in Afghanistan zweifellos eine massive Bedrohung. Auch so ist der Impuls nach Jahrzehnten der Besatzung und des Krieges woanders eine bessere Zukunft zu suchen nachvollziehbar.

Wer die richtigen politischen Schlüsse ziehen will, darf das aktuelle Geschehen aber nicht isoliert betrachten.

2001 marschierte die NATO in Afghanistan ein. Dort herrschten seit 1996 die aus Teilen der Mudschahedin hervorgegangen Taliban. Die Mudschahedin waren zuvor in 1980er Jahren maßgeblich von den USA und Saudi-Arabien ausgebildet und bewaffnet worden, um gegen die in Afghanistan einmarschierten sowjetischen Truppen zu kämpfen. Diese waren der säkularen afghanischen Regierung zur Hilfe gekommen. Mit dieser Unterstützung aus dem Westen entstanden hochgerüstete islamistische Milizen. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen brachen zwischen den verschiedenen Milizenführern der Mudschahedin Kämpfe aus. Die Taliban konnten sich hier schlussendlich durchsetzen.

Die Anschläge vom 11. September waren für die NATO ein willkommener Anlass in der Region nun militärisch direkt tätig zu werden. Bezeichnenderweise forderten damals schon prominente Stimmen in den USA, man solle direkt im erdölreichen Irak einmarschieren. Schlussendlich entschied man sich der Glaubwürdigkeit wegen doch dafür zunächst Afghanistan zu besetzen. Bemerkenswerter Weise waren auf Seiten der Taliban nicht Wenige gewillt einen Einmarsch noch abzuwenden und Osama Bin Laden samt Entourage auszuliefern. Auch sie konnten sich jedoch mit diesem Vorhaben nicht durchsetzen. Bei genauerer Betrachtung ist selbst der Vorwand des 11. September wenig geeignet gewesen den Einmarsch zu legitimieren. Die Anschläge wurden wohl zu weitaus größeren Teilen in Hamburg-Harburg geplant, als am Hindukusch. In Harburg wird Deutschlands Sicherheit weiterhin vom PK 46 und nicht der Bundeswehr verteidigt.

Hierzulande genügte der rot-grünen Bundesregierung die Terroristenjagd alleine nicht, um das imperialistische Abenteuer der breiten Bevölkerung schmackhaft zu machen. Um den größten Kriegseinsatz der BRD zu rechtfertigen, brauchte es schon mehr. Man erklärte daher den Aufbau einer Demokratie und die Stärkung von Frauenrechten zum eigentlichen Ziel. In Afghanistan selbst herrschte schon 2001 unter den verschiedenen Volksgruppen dabei eine Einigkeit, die der Westen ansonsten vermisste. Diese Einigkeit bezog sich dabei zum Unglück der NATO jedoch auf die Ablehnung einer Besatzung. Das ist nur verständlich, ließ doch der Anblick amerikanischer Kampfflugzeuge und deutscher Panzer fern ihrer Heimat noch nie Gutes verheißen. Je stärker der Widerstand wurde, desto rigoroser reagierten die Besatzer. Von nun an wurde jeder Bärtige in Afghanistan mit einer Waffe als Aufständischer und damit als Ziel identifiziert. In vielen Regionen Afghanistans bedeutete dies nichts Anderes als einen bedingungslosen Krieg gegen die Bevölkerung. Um die eigenen Verluste gering zu halten setzen die Besatzer hier auf Feuerkraft aus der Ferne, insbesondere auf Drohnen. Tausende Menschen fielen dem zum Opfer, sei es bei der Feldarbeit oder einer Hochzeitsgesellschaft.

Eine Unterscheidung zwischen guten Besatzern in Gestalt der Bundeswehr und den schlechten Besatzern der US-Armee geht hier selbstverständlich fehl. So erfolgte der Bombenangriff im September 2009 bei dem fast einhundert Zivilisten, unter ihnen auch Kinder, ermordet wurden, ausdrücklich auf Geheiß des deutschen Oberst Klein. Dieser wurde später folgerichtig in den Rang

eines Brigadegenerals befördert. Sich für Deutschlands geostrategische Interessen die Hände schmutzig zu machen ist schließlich Kernaufgabe der Bundeswehr. Es gibt also keinen Grund davon auszugehen, dass Nazibanden wie das KSK sich neben der Planung faschistischer Umstürze noch leidenschaftlich für die Belange der Menschen Afghanistans engagierten.

Ließen sich die Kriegsverbrechen gelegentlich nicht leugnen, zahlten die Besatzer reumütig eine Entschädigung. Dennoch war die deutsche Öffentlichkeit stets über die mangelnde Bewunderung der afghanischen Bevölkerung erstaunt. Die 131 Dollar Blutgeld und eine Mädchenschule 300 Kilometer entfernt waren nicht geeignet, die Wut über ein getötetes Kind in Begeisterung für das selbstlose nation building der Deutschen zu wandeln.

Die lokalen Bündnispartner benahmen sich oft keinesfalls besser. Unter ihnen waren insbesondere jetzt zu Demokraten erklärte Warlords, die in den 1990er Jahren noch Kabul in Schutt und Asche gelegt hatten. Dementsprechend waren auch sie wenig geeignet die Menschen Afghanistans für eine zentrale Marionettenregierung in Kabul zu begeistern, geschweige denn für sie zu kämpfen.

Die Mehrheit der Menschen Afghanistans wollte seit jeher einen Abzug der Besatzer. Das gilt ausdrücklich auch für diejenigen, die selbst zu den Feinden der Taliban zählen und deren Siegeszug kommen sahen. Wer jetzt erschüttert ist, wie der Westen seine wenigen lokalen Unterstützer behandelt, sollte sich fragen, wie erst mit denjenigen umgesprungen wurde, die sich erdreisteten die militärische Besatzung ihrer Heimat abzulehnen.

Gut möglich, dass die Taliban schon bald wieder in den Rang eines Verbündeten erhoben werden. Wahlweise als schlagkräftige Truppe gegen den Islamischen Staat, der sich statt auf ein Emirat zu beschränken gleich ein Kalifat errichten möchte. Weiter können die Taliban auch als Bodentruppen gegen den Iran dienen.

Das Verbrechen der Besatzer besteht nicht in ihrem überhasteten Rückzug, sondern in ihrem Einmarsch. Unsere Aufgabe liegt zuvorderst nicht darin, den deutschen Staat beim Zusammenkehren der Scherben seiner mörderischen Abenteuer zu unterstützen. Internationale Solidarität bedeutet zu verhindern, das deutsche Soldaten und deutsche Waffen in aller Welt morden.

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