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Ein paar Gedanken zum „Massaker in Butscha“.

Aktuell ist im Zuge des Ukraine-Krieges von schrecklichen Massakern an Zivilisten die Rede, die russische Soldaten in Kiewer Vororten hingerichtet haben sollen und welche jetzt nach dem Abzug der russischen Armee entdeckt wurden. Von bis zu 400 Toten, teilweise in Massengräbern, also massiven Kriegsverbrechen, ist die Rede. Die Empörung ist mal wieder groß, ukrainische Botschafter besonders laut und neue Sanktionen wurden auch wieder auf den Weg gebracht. Der dauerbesoffene Bild-Kolumnist Wagner hat Putin am Tag des Bekanntwerdens des Massakers sogar schon in eine Reihe mit Pol Pot und Adolf Hitler eingeordnet. Twitter-Deutschland, Politiker und sog. Journalisten haben den Fall nämlich in Rekordtempo vom heimischen Sofa aus aufgeklärt; dafür waren ganze 140 Zeilen und wahlweise ein paar Fotos und Videos nötig. Entweder reichten ein paar Fotos von Leichen aus, um festzustellen „die Russen sind schuld“, zutrauen tut man ihnen dieser Tage ja eh alles. Oder aber reichten einigen wenigen auch die Aufnahmen aus dem russischen Staatsfernsehen von „sich bewegenden Leichen“ oder etwa ein Retweet der Darstellung der russischen Botschaft aus, um wiederum festzustellen „das Ganze wurde durch die Ukraine inszeniert“.

An dieser Stelle möchten wir zu äußerster Vorsicht und Zurückhaltung aufrufen. Wissen wir überhaupt: „Was ist da genau passiert? Was ist der Ablauf? Wer hat wann was gesehen? Wie viele Tote gibt es überhaupt? Zeugen? Stammen die Toten aus dem Ort? Welche Beweise gibt es? Wie lange war bereits die Totenstarre eingesetzt? Wie wurden die Menschen getötet? Wer wurde genau getötet?“ usw. usw. Es gibt Indizien, die erst einmal für die Varianten beider Seiten sprechen. Diese Indizien müssen von einer unabhängigen und neutralen Institution geprüft und der Fall untersucht werden; die EU kann dies nicht sein. Sie ist an dem Krieg alleine schon durch die Sanktionen gegen Russland aber auch Waffenlieferungen an die Ukraine maßgeblich beteiligt. Denn nur eine (möglichst) unabhängige Institution gewährleistet, dass nicht lediglich Beweise gesammelt werden, die einem vorgefertigten Täterbild entsprechen, sondern in alle Richtungen ermittelt wird und auch den vermeintlichen Täter entlastende Beweise gewürdigt werden. Eine solche Institution muss aber auch die Kriegsverbrechen beider Seiten untersuchen, dazu gehören auch die, die der Ukraine vorgeworfen werden. Ein Massaker an hunderten Menschen hat natürlich ein anderes Ausmaß und andere Brisanz als die Misshandlung einzelner Gefangener oder das Aufstellen von Artillerie in Wohngebieten etc. Doch trotzdem muss auch diesen und anderen Vorwürfen gegen die Ukraine nachgegangen werden, um nicht politisch motivierte Aburteilung einer Partei und somit keine ernsthafte Aufklärung von Kriegsverbrechen, sondern nur denen aus denen man politischen Nutzen ziehen kann, zu betreiben. Sollte eine unabhängige Institution, deren Arbeit nicht behindert wird, dann zweifelsfrei die russische Schuld feststellen, wäre diese auch nicht bestreitbar und nur schwer gegenüber der eigenen Bevölkerung zu vermitteln bzw. zu vertuschen.

Der Zynismus, dass sich nun amerikanische Politiker zu (russischen) Kriegsverbrechen äußern, ist kaum in Worte zu fassen. Die USA haben eine schier endlose Liste an (ungeahndeten) Kriegsverbrechen zu verantworten; auch wenn das niemals eine Rechtfertigung für die Verbrechen anderer sein kann. Mindestens genauso lang ist auch die Liste der Vertuschung der eigenen Verbrechen. Doch auch Deutschland, das bis zum letzten Ende Teil der US-geführten Invasion in Afghanistan war, hat eine unrühmliche Geschichte vorzuweisen, die es mal dringend aufzuarbeiten gelten würde. Neben einer Beteiligung an Kriegen, die dann wiederum zu Kriegsverbrechen z.B. von US-Soldaten führten, haben auch deutsche Soldaten Kriegsverbrechen angerichtet – und deutsche Politiker und Gerichte die Aufklärung verhindert.

Es sei an Herrn Oberst Klein erinnert, auf dessen Anweisung in Afghanistan eine ungeklärte Anzahl an Zivilisten starb. Im Jahre 2009 hatten Taliban zwei vollbeladene Tanklaster entführt, welche beim Durchqueren eines Flusses liegen blieben. Daraufhin kamen zahlreiche Bewohner der umliegenden Dörfer, um sich kostenlos Benzin abzuzapfen. Der deutsche Oberst Klein, der Kommandeur einer Einheit der „internationalen Mission“ ISAF vor Ort ordnete die Bombardierung dieser Laster ohne Kenntnis der Sachlage an. Maßgeblich auf Hinweis von einem „afghanischen Mittelsmann“ sprach er von einer „unmittelbaren Bedrohung“ und „Feindkontakt“, ohne dass überhaupt Kampfhandlungen stattgefunden hatten. Trotz mehrmaliger Nachfrage der amerikanischen Bomberpiloten, ob sie nicht zuerst die Lastwagen im Tiefflug überfliegen sollten, um die Menschen zu verscheuchen, ordnete er eine sofortige Bombardierung an, die nach afghanischen Quellen etwa 100-150 Menschen das Leben kostete, die allermeisten von ihnen Zivilisten und keine Taliban. Oberst Klein, der niemals Reue für sein Handeln zeigte, musste sich auch nie vor einem Gericht verantworten; er wurde im Gegenteil sogar zu einer hohen Position befördert. In typischer Salami-Taktik wurde die Aufklärung von den politischen Verantwortlichen nur bruchstückchenhaft betrieben und Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten, am Ende mussten lediglich drei Politiker ihren Posten räumen und die Bundesregierung zahlte jeder Opferfamilie 5000 $ „Entschädigung.“ Familien von in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten erhielten übrigens jeweils 100.000€. Eine juristische Aufarbeitung des Falls und Klagen afghanischer Opferfamilien scheiterte vor sämtlichen deutschen Gerichten sowie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Allein deshalb kann eine unabhängige Aufarbeitung der Geschehnisse in Butscha nicht durch EU-Institutionen erfolgen. Deutschland und Europa haben selbst genug Dreck unter dem Teppich, den es aufzuklären gilt. Letzten Endes möchten wir auch darauf hinweisen, dass zahlreiche Kriegsverbrechen der jüngeren Geschichte überhaupt nicht restlos aufgeklärt wurden, was die „Twitter-Justiz“ nochmal lächerlicher erscheinen lässt. So wurde etwa der Giftgasangriff von Ghouta 2013 im syrischen Bürgerkrieg bis heute nicht aufgeklärt. Es gibt zwar Indizien, die jeweils für die Regierung als Verantwortliche oder aber eine False-Flag Aktion der Rebellen sprechen, trotzdem wurden die Urheber bisher nicht ermittelt. Ebenso die Hintergründe des Massakers von Srebrenica 1995, das mit 8000 Toten schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit 1945, sind bis heute nicht restlos aufgeklärt. Auch in der Ukraine wurden abscheuliche Verbrechen in der jüngsten Vergangenheit nicht aufgeklärt. Bis heute ist nicht klar wer die Scharfschützen auf dem Maidan waren, die sowohl auf die Polizisten als auch die Demonstranten schossen, um die Lage zu eskalieren. Die Hintergründe bzw. Drahtzieher des Angriffes auf das Gewerkschaftshaus in Odessas mit 42 Toten wurden auch nicht aufgeklärt. Ein mutmaßlicher Drahtzieher wurde später sogar Parlamentspräsident.

Kriegsverbrechen gehören aufgeklärt und nicht politisch instrumentalisiert.

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