Sind wir vor dem Virus alle gleich?


Viel wird in diesen Tagen die Einheit und der Zusammenhalt gegen die Ausbreitung des Coronavirus beschworen. Schließlich treffe das Virus alle gleichermaßen und daher nehme es auch alle gleichermaßen in die Pflicht. Heiko Werning von der taz bescheinigt dem Coronavirus gar demokratisch zu sein.1 Schließlich treffe es „bräsige Karnevalistinnen ebenso wie hippe Clubbesucher, Hollywood-Celebritys wie altersschwache Heimbewohnerinnen, faschistische Staatenlenker wie klerikalfaschistische Ajatollahs“ gleichermaßen. Daher sei nun „Mathe statt Marx“ angesagt.

Das jeder auch ganz ohne staatliche Sanktion dazu angehalten ist, die Ausbreitung zu verhindern ist sicherlich richtig. Dennoch ist die beschworene Gleichheit aller Menschen auch in Coronazeiten eine Illusion.

Wenn etwas Gleiches auf etwas Ungleiches trifft erzeugt es keine Gleichheit. Das zeigen schon die eingangs erwähnten Beispiele. Allein die Quarantäne der „Hollywood-Celebritys“ in ihren Luxusvillen ist wohl ein besseres Leben als das des Großteils der Menschen auf der Welt, auch wenn man sich das Coronavirus einmal weg denkt.

Während nun Reiche in ihren Luxusanwesen über die Vorteile eines Shutdowns und der Entschleunigung sinnieren, fällt auch hierzulande tausenden Familien in zu kleinen Wohnungen die Decke auf den Kopf. Zu fünft auf 50qm ist eben nicht dasselbe, wie sich im Landhaus am Pool erfreuen.

Wer sonst auf die Tafel angewiesen ist, der kann sich den bequemen und sichereren Lieferservice von REWE auch jetzt nicht leisten. In den meisten Niedriglohnjobs ist auch das sicherere Homeoffice nicht möglich. Wer sich kein Auto leisten kann, setzt sich nicht nur auf der Arbeit der Ansteckungsgefahr aus, sondern schon auf dem Weg dahin in Bus und Bahn. So sitzt abends nicht nur Angst vor der gerade beginnenden Wirtschaftskrise mit am Tisch, sondern auch die Furcht sich selber angesteckt zu haben.

Für viele Beschäftige die sich mit einem Mix aus 450-Eurojobs, (Schein)selbständigkeit und Schwarzarbeit über Wasser halten, greifen auch die staatlichen Hilfen nicht. Sie stehen ohne jede Rücklage vor den Scherben finanziellen Existenz.

Die Kinder und Jugendlichen trifft es auch je nach Elternhaus härter. Wenn die Eltern kein deutsch sprechen oder nicht bei den Hausaufgaben helfen können, bleiben sie auf der Strecke. Wer mit der ganzen Familie auf engem Raum wohnt, wird ohnehin kaum die Ruhe zum Lernen finden. Während die Landesregierungen Abiturienten und Studierenden noch etwas entgegen kommen, wird schwächeren Schülern einfach gesagt sie mögen doch bitte freiwillig das Schuljahr wiederholen.2 Das ist blanker Hohn für diejenigen, welche schon ohne Corona unter fehlender Chancengleichheit leiden.

Die behauptete Gleichheit vor dem Virus tritt auch im Falle einer Erkrankung nicht ein. Während sich die „Hollywood-Celebritys“ und andere Großverdiener auf verschiedenen Wegen die wohl beste vorhandene medizinische Versorgung sichern können, verhält es sich mit den Heimbewohnerinnen anders. So wurden sie etwa in Spanien vielerorts sich selbst überlassen. Ohne Pfleger, ohne Essen, ohne medizinische Versorgung.3 Die Folgen eines auf Profit ausgerichteten Gesundheits- und Pflegewesens treffen die Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft mit voller Wucht. Im Nachbarland Frankreich sieht es nicht viel besser aus. Mit Hilfe von Schmerzmitteln soll hier der eigentlich noch vermeidbare Tod der Alten wenigstens schmerzlos sein.4 Einsam ist er trotzdem.

Ohnehin gilt, dass reiche Menschen gesundheitlich besser aufgestellt sind. Eine bessere Vorsorge, eine höhere Dichte an Ärzten in ihren Vierteln, sowie die Möglichkeit beim Lebensmitteleinkauf nicht nur aufs Geld achten zu müssen, machen einen gewaltigen Unterschied. Die Lebenserwartung reicherer Menschen liegt in Deutschland schon ohne Coronavirus mehr als fünf Jahre über der Lebenserwartung des Rests der Gesellschaft.5Diese Ungleichheit wird jetzt noch zunehmen.

Die naturwissenschaftliche Gleichheit der Menschen vor dem Coronavirus hebt die gesellschaftlichen Ungleichheiten dieser Welt nicht auf. Ganz im Gegenteil, es verschärft sie sogar noch. Marx ist (auch) Mathe.

Das Coronavirus mahnt uns also nicht zum Zusammenhalt mit unseren Ausbeutern und Unterdrückern. Es mahnt uns zum Kampf gegen sie!


Quelle

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