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Marxismus und Verschwörungstheorien am Beispiel der „Corona-Lüge“

Aktuell erleben wir einen Frühling der Verschwörungstheorien. Die Zeiten sind wild und einige Menschen haben einen Lagerkoller. Viele Informationen und Zahlen prasseln auf uns ein und die Tastsache, dass die Bundesregierung ihre Strategien ständig ändert, führt zu Verwirrungen. Waren Nasen- und Mundmasken (sogenannte Community-Masken) am Anfang angeblich nicht hilfreich, so sind sie aktuell das Allheilmittel um ein Mindestmaß an gesellschaftlichem Leben zu ermöglichen.  Der erwartete Zusammenbruch des Gesundheitssystems ist nicht eingetretenEs fühlte sich an wie im Wartezimmer: Man wartet auf eine schlechte Nachricht, die sich für Viele nicht bewahrheitet. Ein ewiger SonntagNun geht es aber langsam wieder voran, die ersten Lockerungen kommen und es sammeln sich ungewöhnlich viele Menschen auf sogenannten Hygienedemos. Irgendwie scheinen die Leute enttäuscht davon zu sein, dass der große Aufprall nicht kam und verwickeln sich in immer wilderen Theorien. Diese sind so wirr und vielfältig, dass man sie nicht mal im Ansatz aufzählen könnte. Neu ist, dass sich nun auch ein paar Prominente durch soziale Medien in solchen Theorien verlieren. Besonders erstaunlich tritt dabei der vegane Koch und Millionär Attila Hildmann hervor, der seine Grundrechte gegen Bill Gates auch mit der Waffe in der Hand verteidigen will, weil dieser durch Corona die Menschheit zu dezimieren versuche. Vielleicht sollte man ihm erzählen, dass ein Vitamin B12 Mangel auch bei Veganern in den Griff zu kriegen ist. Wir wollen uns aber nicht über die Verwirrtheiten eines Millionärs lustig machen, das wurde zu Genüge im Internet getan. Wir wollen uns an die Verschwörung im Allgemeinen heranpirschen.
 
Der Schleier des Kapitalismus
 
Wir leben in einer Welt, deren innere Zusammenhänge viele Menschen nicht verstehen und sie ihnen somit verschleiert bleiben. Sie sind entfremdet durch ihre Arbeit oder dadurch, dass in dieser Gesellschaft alles zu einer Ware wird. Alle Beziehungen werden durch den Kapitalismus durchdrungen. Die Menschen treten sich nur noch innerhalb dieser Verhältnisse entgegen und  alles wird durch die Totalität der Wirtschaft bestimmt. Ideologieproduzierendes Gewerbe trägt seinen Teil zur Verschleierung bei und  auch in der Schule werden uns meistens die Bewegungsgesetze der Gesellschaft nicht erklärt. Wer Germany’s next Topmodel wird oder wer in der Champions League spielt, ist für uns wichtiger als die nächste Tarifverhandlung bei uns im Betrieb. Somit legt sich ein undurchsichtiger Schleier über die gesellschaftlichen Verhältnisse. Im Kapitalismus soll eben die Mehrheit konsumieren und der Lohnarbeit nachgehen. Über die komplexen gesellschaftlichen Verhältnisse sollen sich hingegen irgendwelche Soziologen und Politologen Gedanken machen, womit auch die Teilung der Arbeit zu dieser Mystifizierung beiträgt. Dies ist aber keine Verschwörung von einzelnen Akteuren. Vielmehr bringt der Kapitalismus als System dies hervor. Es sind keine bösen Medienmogule sondern Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus.
 
Es entsteht eine gewisse gesellschaftliche Ohnmacht eines Großteils der Bevölkerung.  Während wir unser Leben lang arbeiten müssen und gesellschaftlichen Mehrwert produzieren, haben wir davon recht wenig. Dies hat sich insbesondere in der Krise gezeigt. Sogar in den reichen Industrienationen stehen viele Menschen nach nur einigen Wochen ohne vollen Lohn vor einem finanziellen Desaster, welches sich noch weiter verstärken wird. Die Menschen, die in dieser Gesellschaft produzieren und reproduzieren, sind besitzlos und an den Rand gedrängt. Seit Jahren gibt es erhebliche Angriffe auf die Rechte und die Löhne unserer Klasse. Doch ganz egal wer an der Macht ist, an der grundlegenden Situation ändert sich nichts. Zu der Machtlosigkeit in den Betrieben kommt auch die politische hinzu. Gewerkschaften und linke Parteien sind in Westeuropa nach dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ nicht mal mehr erwähnenswert, wenn eher im negativen, da sie die Abwärtsspirale mit vorangetrieben haben.
Die Macht der Wenigen
 
Im Kapitalismus ist das alles bestimmende Gesetz die Konkurrenz auf dem Markt. Diese führt im imperialistischen Stadium des Kapitalismus zu einer ungeheuren Zentralisation von Kapital und zur Konzentration auf einzelne Kapitalisten.  Soziale Ungleichheiten werden auch anhand der jährlichen Oxfam-Studie sichtbar. Einige wenige Menschen besitzen so viel wie die Hälfte der Weltbevölkerung. Alle 2.153 Milliardäre zusammen besitzen so viel wie 60 % der Menschheit. Im Kapitalismus ist das Vermögen quasi gleichzusetzen mit politischem Einfluss. Haben sich diese Menschen also dazu verschworen uns zu einteignen und steuern sie die Welt? 
Konkurrenz herrscht aber auch unter den Superreichen. Teilweise widersprechen sich ihre spezifischen Interessen, was zur gegenseitigen Bekämpfung führt. Sie sind eben kein homogener Block. Klar ist, dass sie durch ihr Vermögen erheblichen Einfluss haben. Mehr als frühere Könige und Pharaonen zusammen. Der Kapitalismus schafft unglaublichen Reichtum, doch es ist unsere Klasse, die diesen Reichtum tagtäglich produziert: durch Lohnarbeit in Form des Mehrwerts. Und genau dort müssen wir ansetzen, denn die kapitalistische Lohnarbeit mit seiner Mehrwertproduktion und die Konkurrenz auf dem Markt führt zur Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums. Es ist keine Verschwörung Einzelner, sondern die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten führen zu dieser Zentralisation. Der Schwächere geht auf dem Markt unter und wird aufgekauft.
 
Kommen wir zu der Macht von Kapitalisten und den Wenigen. Der Kapitalismus ist nicht nur ein Produktionssystem, sondern auch ein Herrschaftssystem. Die Klasse der Kapitalisten tut natürlich alles um dieses System aufrechtzuerhalten, da sie erheblich davon profitieren. Dies geschieht wie von Geisterhand durch die Mystifizierung der gesellschaftlichen Zustände durch Ideologieproduktion. Auch hat der Kapitalismus über Jahrhunderte ein Herrschaftssystem mit einem Klassenstaat aufgebaut. Dieses domestiziert und zügelt uns, sobald wir uns gegen die herrschenden Verhältnisse auflehnen. 
Nicht weil die Staatsdiener im Knast, in der Justiz oder im Beamtenheer bösartig sind, sondern weil sie den Status quo dieser Gesellschaft verteidigen. Klar kann es immer mal wieder bösartige Arschlöcher und Sadisten geben, diese sind nicht mehr als ein Beiwerk. Die Aufmerksamkeit auf die Wenigen soll davon ablenken, dass das ganze System auf Unterdrückung aufgebaut ist. Genau dazu dienen häufig Verschwörungstheorien: Ausnahmen werden herausgepickt oder phantasiert, um den Normalzustand nicht anzugehen. Oft wird eine Elitenkritik formuliert, die im Ansatz zwar erkennt dass der Zustand dieser Welt zu kritisieren und zu ändern ist, doch bleibt sie auf der Oberfläche haften, indem sie nur das Personal wechseln möchte und nicht das System, welches eben zu diesem Zustand führt. 
Wir müssen Herrschaft als etwas abstraktes und konkretes verstehen. Der Knüppel des Polizisten ist ganz konkret, die Verhältnisse die ihm das erlauben sind abstrakt. Kämpfen kann man nur konkret, aber in den konkreten Kämpfen muss man aufzeigen, dass die abstrakten Verhältnisse abzuschaffen sind, wenn man das Problem grundsätzlich beseitigen will. Man kann aktuell nicht gegen den Kapitalismus streiken, sondern nur gegen den Eigentümer der Produktionsmittel auf seiner „eigenen Arbeit“. Verbessern wird dies die eigenen Verhältnisse jedoch nur geringfügig. Will man den Kapitalismus aufheben, muss man alle Kapitalisten enteignen. Deshalb ist es unsere Aufgabe, die Kämpfe um die Verbesserung der Verhältnisse der Vielen zu verbinden und das ganze System abzuschaffen. Dieses Abstraktionsvermögen ist keine intellektuelle Glanzleistung. Jede/r kann es nachvollziehen, wenn man ihnen es erklärt.
 
Niemand wird unsere Aufgabe erledigen!
Kommen wir zur Aufgabe der radikalen Linken, die in erster Linie darin besteht, die marxistische Kritik an den Verhältnissen populär zu machen. Die Menschen werden innerhalb dieser Verhältnisse nicht von alleine darauf kommen, was hier falsch läuft und was zu ändern wäre. Wie wir gesehen haben, gibt es viele Hindernisse in unserer Gesellschaft, sie zu begreifen. Die Aufgabe von uns ist daher die Menschen aufzuklären, sie zu agitieren und zu aktivieren, denn wir können die Verhältnisse als Stellvertreter der Menschheit nicht verbessern. Dies muss unsere Klasse selber tun. Nur weil einige Leute wirre Gedanken haben, sollten wir sie also nicht abschreiben, sondern versuchen sie von unserer Position zu überzeugen. Dies ist natürlich eine mühselige Aufgabe, denn man muss aus seiner Wohlfühloase heraus und erkennt sehr schnell, dass die Welt da draußen schon richtig scheiße ist. Keiner will den Menschen nach dem Mund reden. Wir sollten unsere Kritik nicht aufweichen, sondern sie  einem größeren Teil der Klasse zugänglich machen. Der Universalismus des Lebens, dass alle Menschen gleich sind, ist ein Grundbaustein der linken DNA und steht somit nicht zur Debatte.
Mit großer Sorge muss man aktuell wahrnehmen, dass die rechten Demagogen erfolgreich sind. Ihre Erzählung knüpft gerade an dieses System an, denn sie setzen auf Konkurrenz und hetzten die Menschen gegeneinander auf. Die rechten Terroranschläge der letzten Jahre wurden fast immer mit Verschwörungstheorien begründet. Das Gefühl und die Ohnmacht, Opfer einer Verschwörung zu sein, radikalisiert bestimmte Personen, die dann bewaffnet in den Krieg ziehen. Leider schaffen es die Rechten aber auch  immer wieder sich in heterogenen Bewegungen breit zu machen und werden toleriert. Aktuell scheint ihre Rechnung aufzugehen und sie fassen in der Bewegung gegen die Coronaeinschränkungen Fuß. 
Dies müssen wir mit allen Mitteln bekämpfen, denn es entsteht gerade eine Querfront von Liberalen bis hin zu Rechtsradikalen. Auch wenn sie sich rebellisch geben, wollen sie zurück zum kapitalistischen Normalzustand. Konsum wird als Freiheit verklärt und bestimmte Gefahren werden runter gespielt. Wir sind mit der Krisenstrategie der Bundesregierung auch nicht zufrieden, weil sie die Krisenlasten auf unsere Klasse abwälzen wird. Jedoch sind wir schon wieder nicht als die Alternative zur dieser Politik wahrnehmbar. Gesellschaftliche Relevanz haben wir seit Jahrzehnten eingebüßt. Wenn wir also unsere Aufgabe nicht erfüllen, dann werden die rechten Rattenfänger weiter ihr Unwesen treiben.  
 
Klassenbewusstsein statt Verschwörungstheorien!

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